Montag, 8. Juni 2015

Atheismus als Religion

Der Glaube, die Aufgabe von Gott als Lenker der Welt, hätte uns "befreit" ist nichts als ein Irrglaube, ein selbstgerechtes, selbstverliebtes Statement. Die Verunsicherung, die der Wegbruch fester Werte und damit Sicherheit, erzeugt hat, wurde durch das Dogma der Natur gefüllt.
Aus ihr selbst heraus sollten nun die Gesetze des Lebens und das Gute der Welt erkannt und legitimiert werden.
Dieser neue Irrglaube wirkt bis heute in erschreckender Weise nach. Das vermeintlich Natürliche der Welt und des Umgangs des Menschen mit sich und ihr, das letztlich nicht mehr ist als das alltäglich Sichtbare, dessen soziale und kulturelle Konstruktion geleugnet oder negiert wird, ist nun der Maßstab und der Grund der neuen Werte geworden. Eine solche Weltkonstruktion und ihre Werte leben von Naturalisierungen sozialer und kultureller Mechanismen und einer durch und durch positivistischen Sichtweise.
So wie die soziale Hierarchie in der Frühen Neuzeit durch das Beobachten scheinbar natürlicher, jedoch sozial eingeübter und unter bestimmten Vorstellungen gedeuteter Verhaltensweisen gerechtfertigt wurde, so wird auch heute noch die Superiorität des "Menschen" gegenüber dem "Tier" festgeschrieben.
Die Möglichkeit dessen ergibt sich nicht zuletzt aus einem Missverständnis, das darin besteht, alltägliche Beobachtungen als quasi naturwissenschaftliches Testsystem zu deuten.
Dabei handelt es sich jedoch nur um eine lebensweltliche und nicht wissenschaftliche Beobachtung, die ihre eigenen Vorannahmen übersieht und die das Bestehende somit nur bestätigen kann, bereits deutet statt beobachtet und antwortet statt fragt.
Dies ist möglich aufgrund des inszenierten alltagsmenschlichen Selbstverständnisses als vernünftiges und praktisch immer zum reflektierten Selbstdenken fähigen (und damit allezeit wissenschaftlich beobachtenden) Wesen, sowie der Verleugnung des Werts von Sozial- und Geisteswissenschaften und der Superiorität naturwissenschaftlicher Forschung oder in diesem Sinne einer abgespeckten, selbstkritikfreien Version dessen.
Ursache dieses Umstands ist der weit verbreitete Irrtum des s.g. "Naiven Realismus" als der Idee, dass die Welt so ist, wie sie sich uns in unserer Wahrnehmung darstellt. Die "Realität", oftmals die Problematik verschärfend normativ aufgeladen und als "Normalität" gesetzt, wird so zur Begründung des Handelns. Diese ist jedoch nicht mehr als ein Konstrukt, ein Ideal, dass sich aus einem möglichen Ausschnitt der (Be)Deutungsvielfalt herausschält und ihrerseits die Wahrnehmung der Welt prägt. Diese Konstruktion erfüllt zum Einen den Sinn, dem Chaos der Vielfalt zu entkommen und Handlungsfähigkeit zu erzeugen und zum Anderen, um Gemeinschaft über eine gemeinsam konstruierte und bestätigte Wirklichkeit zu schaffen. Dabei bildet diese Normalitätskonstruktion nur ein Ideal, eine Bedeutungsnetzwerk an Möglich- und Verbindlichkeiten, aus dem sich je unterschiedlich stark die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bedienen.
Neben "traditionellen Religionen" setzt sich so ein anderes Glaubenssystem, eine andere Wirklichkeit, eine andere Konstruktion von Welt, die als quasi-religiös zu bezeichnen ist, ebenso basierend auf Dogmen von "Natürlichkeit", "Rationalität" und "Autonomie", die in das Selbstbild des glaubenden Säkularisierten eingeschrieben sind, gruppiert um je spezifisches "Heiliges" wie "Familie", "Arbeit", "Freiheit", das postuliert wird, affektiv aufgeladen ist, angenommen statt hinterfragt oder begründet werden soll und auf die es stützendenden grundsätzlichen dogmatischen Glaubenssätze angewiesen ist.
Als Mittel zu deren Absicherung werden die zu den s.g. "Naturwissenschaften" konstruierten Forschungsbereiche gebraucht oder vielmehr deren vereinfachte und selten verstandene Konzepte, die Teile und vermeintliche Basis des zeitgenössischen "atheistischen" Glaubens bilden, jedoch nur soweit sie allgemeinverständlich scheinen und den jeweiligen Glauben stützen.
Doch auch hierbei zeigt sich der Irrglaube, denn auch "Naturwissenschaften" bilden keine "Realität" ab, sondern erzählen uns von einer Wirklichkeit, die sie selbst mitschaffen. Realität abzubilden würde voraussetzen sie außerhalb von Wahrnehmung zu erfassen, da jede Wahrnehmung, gleich durch welche "Brille" oder durch welche "Instrumente" sie erfolgt bereits eine Konstruktionsleistung ist, die von der jeweiligen vorhergehenden Wirklichkeit abhängig ist. Da uns nur die Wahrnehmung bleibt, durch die wir Welt erfahren können, bieten uns auch die Naturwissenschaften nur Konstrukte an, die sie mit Bedeutung ausstatten, zu Narrativen machen. Nur wenn wir den Glauben an die Wahrheit der Naturwissenschaften endlich auch allgemein aufbrechen, haben wir eine Chance die Geisteswissenschaften wieder aufzuwerten, die in ihrer Selbstreflektion bereits weiter vorangeschritten zu sein scheinen...Was dabei entsteht muss keine Verunsicherung sein, sondern eine Wissenschaft, die das Mögliche außerhalb ihrer bisherigen Narrative zu denken imstande ist. Auch entsteht daraus kein Chaos, sondern die Möglichkeit des Schaffens, wenn wir uns nicht mehr auf je spezifische Wahrheiten als Natürlichkeiten berufen können, mit denen wir mit dem Schwert des Zeitgeistes gegen das "Andere" zu Felde ziehen.

Dies heisst nun nicht, dass wir in einen Relativismus verfallen dürfen oder müssen. Es heisst lediglich im Sinne kritischen Denkens die eigene Wirklichkeit zu hinterfragen und geeignetere Bewertungskriterien zu finden als jene nach einer größtmöglichen Passung mit einer nicht existierenden (bzw. nicht zugänglichen) Realität, deren Mangel traditionellem Glauben angeheftet wird. Diese neuen Bewertungskritieren richten sich dabei ihrerseits nach der Funktion. Für die Psychotherapie ist das Auswahlkriterium für eine Wirklichkeit ein erträglicheres Leben für das Individuum, für generelle, in diesem Sinne moralischere Handlungsweisen, ist es die Ethik selbst, die das Kriterium stellt. In diesem Sinne steht die Forderung nach einer Ethik, die sich als Methode und nicht als Normenkatalog und damit als eigenständige Wirklichkeit präsentiert.
Die Frage ist damit nicht, ob "Religion" abzulehnen ist, ob sie "wahr" oder "falsch" ist, sondern welche "Religion", ob säkular oder nicht, die "richtige" ist, um eine solche Wirklichkeit zu schaffen.

Sonntag, 7. Juni 2015

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele IX

Die Forderung "Wissenschaft" habe sich "allgemeinverständlich", was immer nur heisst "so dass ich es gerade jetzt verstehe" und damit eine egozentrische Reduktion darstellt, auszudrücken, ist ein zweischneidiges Schwert, das das Wesen des je unterschiedlichen Sprechens gefahrvoll übersieht. So sinnvoll diese Forderung zum Ziele eines Höheren ist, so problematisch ist sie. Das Wesen der Alltagssprache ist die notwendige Reduktion, die Vereinfachung der Welt. Das Wesen des wissenschaftlichen Sprechens ist die Erfassung der Welt in ihrer Komplexität. Wo immer wir daher eine Vereinfachung ausserhalb des erwähnten Zwecks vornehmen, werden wir immer in die Gefahr je spezifischer Ismen blicken müssen, die in der die jeweilige Wirklichkeit beschreibend schaffenden Sprache angelegt sind. Eine alltagsweltliche Vereinfachung zur Wahrnehmungs- und Handlungsoptimierung der Sprache ist damit mitursächlich für Rassismus, Sexismus und Speziesismus.

Wer glaubt, dass "wir" in einer grundsätzlich freiheitlichen, pluralistischen und offenen Gesellschaft leben, der irrt eben so grundsätzlich.
Offenheit und Pluralismus, die Zulassung alternativer Wirklichkeiten, gelten nur so lange, wie sich diese alternativen Wirklichkeiten auf ästhetische Fragen einengen lassen, sie nicht das "Heilige" der Gesellschaft oder das System infrage stellen. Wo immer dieses "Andere" darüber hinaus geht, greift der Totalitarismus jedweden Systems. Es greift die Folter, verstanden als als Zwang empfundene, durch emotionales Leid begleitete, gewaltsame Forderungen nach Konformismus, wie sie sich versteckt in jedweder Sozialisation und offen abscheulich im Strafsystem finden lassen.
Pluralismus ist nur da erlaubt, wo er zahnlos, bedeutungslos bleibt und nur der Idealisierung des Systems als vermeintlich pluralistisch und freiheitlich dient.
Mit anderen Worten darf zwar jeder entscheiden welche Musikrichtung er hört, so lang diese nicht das System gefährdet aber zu entscheiden, ob eine Handlung einer Behörde der eigenen Würde widerspricht, darf nur so weit behauptet werden, wie davon eine allgemein anerkannte Würde, derer wir alle teilhaben dürfen und müssen, betroffen scheint.
Ein wirklich gerechtes System, welches zwar notwendig seine Grenzen des Pluralismus finden muss, muss als solches zugleich den Spagat zwischen einem wirklichen Pluralismus als Patchwork der Minderheiten im Sinne Lyotards und gleichzeitigem Universalismus dessen Grundlage nur eine ethische Methode sein kann, wagen.
Nur eine Gesellschaft, die beständig offen gegenüber allen Wirklichkeiten ist, deren hegemoniale Wirklichkeit als immer prima facie gefasst wird, die beständig und immer von jedem hinterfragbar sein muss, kann überhaupt daran denken, dies nur im Ansatz leisten zu können. Und nur ein solches System kann aus ethischer Sicht legitim sein.

Eine diskriminierungs- und gewaltfreie Sprache existiert nicht auch wenn die Alltagsnaivität auf der Suche nach ihr sein kann. Es ist die Funktion von Sprache zu diskriminieren. Sie soll Unterschiede durch Benennung generieren, als solche bewerten und so die Welt wertend ordnen. Für jeden Unterschied fällt eine Gemeinsamkeit und umgekehrt. Jedes Wort wählt aus und erzeugt in der Auswahl wechselseitig zur Wahrnehmung eine spezifische Wirklichkeit die sich wie jede in einem sprachlichen Gewaltakt und durch soziale Prozesse hegemonial setzt. Dies heisst jedoch nicht jedes Sprechen gut. Es verschiebt nur den Fokus vom Glauben einer solch freien Sprache hin zur Suche nach spezifischen und beständig kritisch zu begründenden wertenden Unterschiede.

Samstag, 6. Juni 2015

Rezension. Klappe die Erste....Mad Max Fury Road

Da auch "Popkultur" Teil des Lebens, Teil des Seins und Teil der Sinntruktur ist, bietet es sich an, auch darüber zu schreiben, freilich unter einem spezifischen Fokus, der an diesem Beispiel besonders aufscheint. Nicht Zweck, sondern Mittel, quasi Medium ist das mediale Ereignis hierbei...In diesem Sinne, viel Spaß beim Lesen...

Hm...okay...nunja, Mad Max – Fury Road...Was soll ich sagen. Zuerst einmal, der Film hat etwas, er ist ganz gut, hat mir gefallen aber meine Erwartungen wurden dann doch in einigen Bereichen enttäuscht, Erwartungen, die er allerdings nicht selbst geweckt hat oder geweckt haben wollte. Diese kamen aus einer ganz anderen Richtung. So sah sich anlässlich des Films mal wieder der intellektuelle Bodensatz der s.g. Zivilisation genötigt, sich zu äußern. Der Film sei „feministische Progaganda“, „männerfeindlich“ und „sollte boykottiert werden“. Mein Interesse war freilich mehr als geweckt. Wie sollte ein solcher Film nicht genial werden? Ich musste ihn sehen, konnte es nicht erwarten. Nach dem Sehen nun allerdings die Enttäuschung. Wo bitte war der Film „feministische Propaganda“? Oder anders gefragt, wo ging dieser angebliche „Feminismus“ über einen primitiven, infantilen „Feminismus“ hinaus, der ein genuin „Weibliches“ konstruiert und als positive, revolutionäre Norm einem scheinbar zum Grotesken gesteigerten „Männlichen“ gegenüberstellt und sich so selbst eines Sexismus schuldig macht? Freilich, ganz so einfach macht es sich der Film auch nicht. Zumindest verweigert er sich einer Zwangszuweisung dieses „Weiblichen“ als „gender“ an ein konstruiertes Geschlecht im Sinne von „sex“ und denkt es als mögliche Formen von Sozialisation, so dass auch ein „Mann“ dem Attribut „Fürsorge“ teilhaftig werden kann, wie auch eine Frau der „Gewalt“. Leider bleibt der Film auf dieser oberflächlichen Ebene stecken und konstruiert dieses „Weibliche“ als „Fürsorgliches“, „Lebenserhaltendes“ aus einem genuin weiblichen Körper. In diesem wird es gebildet, dieser ist ihr Ursprung, aus diesem kann es sich entfalten und auch den „männlichen Körper“ „befallen“. Indem also dieses genuin aus dem „Weiblichen“ stammende „Weibliche“ als Gegenentwurf eines genuin „Männlichen“ gesetzt wird, verbleibt der Film in einem ekelhaft konservativen „Feminismus“, der vielleicht als Entwicklungsstufe notwendig war, sich aber mittlerweile überlebt haben sollte.
Und auch in anderer Hinsicht blieb Enttäuschung zurück. Wenn schon nur ein oberflächlicher „Feminismus“, dann doch wenigstens Neues in den Sehgewohnheiten, ein Bruch mit den alten? Leider nein. Den „weiblichen“ Helden gibt es ebenso bereits als Topos, wie den nicht mehr uneingeschränkt „guten“. Und auch der Versuch eines ästhetischen „Häßlichen“, einer „Weiblichkeit“ jenseits von Arsch und Titten ist nicht neu. Gut, Charlize Theron fehlt ein halber Arm, sie hat ne Glatze und schmiert sich Öl ins Gesicht aber sie bleibt Charlize Theron, eine „Frau“, die durchaus konventionell im Spektrum des „Attraktiven“ bleibt. Auch ist das Modell einer „Weiblichkeit jenseits der Sexyness“ spätestens seit Alien erprobt. Was bliebe noch? Der eigentliche Titelträger des Films der zur Nebenfigur wird. Auch das wurde bereits vorher genutzt, z.B. im großartigen „Der letzte Mohikaner“. Allerdings ist es auch hier wieder nicht ganz so einfach. Immerhin ist „Mad Max“ wichtiger Impulsgeber und eines der beiden Aushängeschilder einer neuen „Männlichkeit“, die „weibliche“ Attribute aufnehmen kann. Aber gerade seine Impulse sind ein weiteres Problem und schließen den Kreis zur ersten Enttäuschung. Schließlich ist er es, der der „weiblichen“ Revolution als solche zum Start verhilft. So ist es doch wieder ein „männliches“ Hegemonialitätsstreben, das das „Weibliche“ zur Norm zu erheben vermag. Auch eine Charlize Theron, auch das „Weibliche“ als Alternative, auch die „Fürsorge“ und das „Leben Erhaltende“ sind so letztlich wieder einem spezifischen „Männlichen“ unterworfen.
Was bleibt also als Fazit. Nun, Fury Road ist ein alles in allem guter Film, ich mag ihn, wirklich, auch wenn mir das Verhältnis „Effekt : Inhalt“ etwas zu einseitig war und der Film nicht allzu viel zu erzählen wusste.
Das zweite wichtige Fazit, das ich aus diesem Film erneut ziehen kann ist, dass bloß weil eine Horde Idioten sich von einem Film in ihrer Idiotie bedroht fühlt, heisst dies nicht, dass der Film Besonderes oder Innovatives zu bieten hat, es heisst nachwievor einfach nur, dass es Idioten sind.