Sonntag, 12. Juli 2015

Die Überheblichkeit der Vereinfachung - das Beispiel Freital

Freital und anderswo. Schrecklich. Abscheulich. Unendlich ungerecht was dort den Flüchtlingen seitens Teilen der Bevölkerung entgegengebracht wird.
Es ist abzulehnen, zu bekämpfen, zu verabscheuen. Aber zu vereinfachen? So liest man allzuoft Beiträge, die diese euphemistisch so bezeichneten "Flüchtlingsgegner" entweder als "besorgte Bürger" verharmlosen oder aber sie als "dumm" und "böse" inszenieren. Um Letzteres soll es hier gehen. Diese Zuschreibung macht es nämlich so schön einfach. In der Erklärung der "Dummheit" und "Boshaftigkeit", gern auch "Mitleid- oder Fühllosigkeit" lässt sich so schnell die Ursache ausmachen und zugleich schafft dies eine Wirklichkeit, in der man selbst nie zu "jenen" gehören könne, es a priori ausschliesst, denn man selbst sei ja weder "dumm", noch "böse", noch "mitleidlos". Der Wunsch nach absoluter Abgrenzung ist verständlich und liegt in der emotionalen Abwehr dieser Denk- und Handlungsmuster begründet, die durchaus eine wichtige Bedeutung hat. Aber dies offenbart auch eines der Grundprobleme, den diese Überheblichkeit mit den "Flüchtlingsgegnern" teilt.
Letztere sind nicht "dumm", "böse" oder "mitleidlos", sie sind vor allem wenig gebildet und teilen dies mit denen, die diese leichten, einfachen Lösungen die diese Zuschreibungen sind, häufig nutzen.
Menschen handeln, weil sie spezifische Wahrnehmungs-, Denk-, Fühl und Handlungsmuster erlernt und u.a. mit Hilfe sozialer Prozesse emotional abgesichert haben oder anders, weil sie spezifischen Wirklichkeiten
folgen. Genau dies trifft aber grundsätzlich auf beide Seiten zu. Freilich unterscheiden diese sich im Ergebnis, die eine ist erträglicher als die andere aber keine von beiden ist "rationaler", "reflektierter" oder bringt eben solche Akteure hervor. Sie beide basieren auf den selben Mechanismen und Prozessen. Eben jene Prozesse sind dabei überall zu sehen, nicht nur selbst auch bei facebook, sondern insbesondere auch hier.
Wirklichkeiten werden eingeübt, verteidigt, sozial sanktioniert, Exklusivität wird geschaffen, Abweichendes bestraft, spezifische Wirklichkeiten hegemonialisiert, verabsolutiert.
Wir alle sind aktiver und passiver Teil solcher Prozesse. Welche Wirkungen und Wirklichkeiten entstehen hängt damit maßgeblich von den sozialen Gruppen ab, in denen wir diese erlernen und von den Grundbedigungen, die wir zum Durschauen von uns selbst als Akteur und den sozialen und kulturellen Prozessen, mitbringen, erlernt haben.
Nur Bildung, verstanden als kritisches Denken, kann diesen Prozess aufbrechen, Verabsolutierungen und Naturalisierungen von Wirklichkeiten verhindern. Aber diese Bildung wird nicht in der Schule erlernt,
nicht in der Ausbildung und kaum im Studium. Der Sinn unserer Bildungseinrichtungen ist die Vermittlung von Funktionswissen, das Erlernen von genau so viel Wissen und damit auch spezifischer Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die eine Reproduktion der Gesellschaft und ihrer Produktivität erlauben. Bildung ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv, sie erzeugt Unbequemlichkeiten, Störungen des Systems und dies nicht nur partiell wie an dem Beispiel einer damit letztlich in Kauf genommenen Gewalt und Abwehr gegen Flüchtlinge, die ohnehin "Andere" treffen, nicht durch die Gesellschaft und ihre Exklusivität erzeugte "Eigene", sondern beständig.
Was bedeutet dies nun? Es bedeutet, dass die Zuschreibungen wie "dumm", "böse" oder "mitleidlos" nicht mehr sind, als einfache Bewältigungsmuster die die eigene Unschuld sicherstellen wollen und eine Überheblichkeit transportieren, die das Selbst als entgegen dieser Zuschreibungen konstruiert, damit aber übersieht, wie Wahrnehmen, Denken und Handeln erlernt werden und funktionieren. Es bedeutet freilich auch, dass gegen die Handlungen dieser "Flüchtlingsgegner"
ein große emotionale Abwehr existiert, es also alternative Wirklichkeiten gibt, die erträglicher sind und die es zu befördern gilt. Es heisst aber auch, dass wir uns bewusst sein sollten, wie unsere eigenen fragilen Wirklichkeiten entstehen und auch vergehen können. Es bedeutet, dass wir handeln müssen, strafen, kämpfen, ändern, dass wir wütend sein müssen, abgestoßen, angeekelt aber dabei nie ohne Bedauern, immer ohne Hassen und immer bewusst, dass auch das, was wir als Selbst begreifen, unsere Abwehr, unser Mitleid und unsere "Offenheit" Dinge sind, die wir erlernt haben, bedingt durch die sozialen Zugehörigkeiten, durch Exklusivitäten, die wir selbst jeden Tag mitschaffen und uns dabei Prozessen bedienen, die ebenso ursächlich für das sind, was hier bekämpft wird.
Schlussendlich bedeutet es vor allem das Kernproblem zu schauen und zu bekämpfen, in uns wie in allen anderen, den Mangel an Bildung als kritischem Denken.