Dienstag, 6. Dezember 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XVIII

Wie in der alliterativen Begriffsdopplung von "Kunst und Kultur", schon angelegt, die eben wie bei "Kind und Kegel" nicht Kind und Kegel, sondern alle Kinder meint, wird Kultur leider immer noch als Verstärkung oder Synonym von Kunst, vor allem hegemonialer Kunstvorstellungen benutzt. Kunst ist wichtig, denn Kunst kann versuchen, das Unsagbare zu erzählen, das Allgemeine zu offenbaren, das Alltägliche zu dekonstruieren und das Neue denkbar zu machen. Lust am eigenen kreativen Schaffen zu wecken ist daher ebenso wichtig. Aber Voraussetzung für eine Kunst, die Gesellschaft reflektieren kann und damit auch eine wichtige politische Funktion einnimmt, wäre eine Kulturelle Bildung, die ihrem Namen auch abseits eines kunstreduktionistischen Kulturbegriffs gerecht werden kann, Was wir brauchen, ist eine Kulturelle Bildung, die sich mit Kultur im Allgemeinen auseinandersetzt, mit all ihren Spielarten. Nicht nur hegemonialer Kunst, nicht nur subkultureller Kunst, sondern mit Kultur im kulturwissenschaftlichen Sinne, also mit dem Alltag, den Bedeutungen, den Sinnstiftungen, den Weltdeutungen, Performanzen, Praktiken, dem Fühlen-Denken-Handeln und dessen Sinnstruktur, also mit dem, was aus der Welt erst Lebenswelt macht. Dann aber könnte man Kulturelle Bildung nicht mehr so wohlfeil als einfaches Aushängeschild und dessen Förderung nicht mehr als selbstgerechten steuerlichen Ablasshandel benutzen, als zahnlose, rein ästhetische Spielerei. Dann würde Kulturelle Bildung nämlich dazu beitragen, kritisches Denken und Fühlen nicht außerhalb, sondern auch entgegen Schule und Universität, entgegen Gesellschaft zu fördern. An Stelle des passiven Kunstgenusses stünde der Spiegel, statt Identität die Dekonstruktion. Das alles aber verhindert das Sprechen über Kultur als Kunst nicht zuletzt im Rahmen des Förderns, denn das kritische Denken ist zwar eine Kunst aber eben nicht Kunst.


Der Begriff des "Postfaktischen" ist letztlich ein Ausdruck reaktionären Denkens, das zurückführen soll in das Wissen der Moderne, in die Sicherheit des absoluten Wissens und der Gewissheit der "Fakten", die letztlich Politik legitimieren sollten. Statt einfach Begriffe wie "Lügner" oder "Rassist" zu gebrauchen und den Blick auf Bedingungen und Ursachen zu richten, wird mit dem Begriff des "Faktischen" als legitimierende Kraft verallgemeinert und vereinfacht. Entgegen der Programmatik des postmodernen Wissens als nötige Vielheit und Diversität von Erzählungen, führt die Moderne mit ihrer "normativen Kraft" des vermeintlich Faktischen zurück in zu entdeckende Gewissheiten, die die Welt einfach halten, in die Idee alles vermessen zu können, in den Fortschrittsglauben, in binäre Geschlechtermodelle, in Sicherheiten und nationalstaatliche Regulierungen als einzige Alternative.


So wie das Konstrukt des "biologischen Geschlechts" immer Brutstätte sozialer Rollenzuschreibungen bleiben wird und daher überwunden oder mindestens auf wenige Kontexte wie Medizin eingegrenzt werden muss, so muss auch der Humanismus überwunden werden, mit seiner Überbetonung des Menschen als Maß aller Dinge, um den Speziesismus grundlegend zu erschüttern. So wie es galt, die Erzählungen der Moderne wie "Rationalität", "Fortschrittlichkeit" und "Wahrheit" im postmodernen Denken als Selbstgerechtigkeit mit all ihren Gewaltätigkeiten der "Fakten" zu entlarven, so ist es nun als Teil dieses Prozesses Zeit, mittels posthumanistischer Philosophie den Menschen als eins und nicht als alles zu begreifen und damit aus dieser Selbstgerechtigkeit zu entheben. 

Dienstag, 15. November 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XVII

Entgegen des Alltagsverständnisses eines Naiven Realismus, sind Einhörner ebenso Fakt, wie Fakten auch wie Einhörner sind. In je begrenzten Referenzbereichen ist ihre Behauptung "wahr" und dies ist die einzige "Wahrheit", die uns zuträglich ist, die relative Übereinstimmung einer Behauptung mit verschiedenen Ebenen unserer Wirklichkeiten aber nicht mit der davon unabhängigen Realität, denn zu dieser haben wir keinen von unseren Wahrnehmungen und damit auch Wirklichkeiten unabhängigen Zugriff. So ist auch ein Berg nur "hoch" im Referenzbereich unserer Erfahrung, die wir aufgrund seiner Überwindbarkeit und aufgrund der von uns erfahrenen Höhen haben und er ist nur x Kilometer hoch, im Rahmen einer nur auf unserer lebensweltlichen Mesoebene "exakten" Einteilung von messbarer Höhe, die es ohne uns in dieser Form gar nicht gäbe. "Der Berg ist hoch" und "der Berg ist x Kilometer hoch" sind damit weniger Fakten im Alltagssinne, als vielmehr Vereinbarungen, die nur für uns Relevanz und Wahrheit besitzen. Das bedeutet nicht, dass es für uns nicht schwer sei, auf den Berg zu kommen, es bedeutet lediglich, allen diesen Wahrheiten einen relationalen Status zuzuweisen, sie abhängig von unseren Perspektiven, Bedürfnissen und Weltdeutungen zu machen.
Der Berg ist ohne uns da aber er ist dann eben kein Berg.


Die Erfindung der modernen normierten Zeit und ihre Nutzung durch die sich aus dem Protestantismus entwickelnde kapitalistische Arbeitsethik, sind wohl die zentralsten Kontrollmittel unserer Lebenswelt. Der Wecker ist die Peitsche, der Blick auf die Uhr gibt den neuen Rhythmus vor, nach dem wir zu funktionieren haben, argwöhnisch bewacht von der Scham, die jedes Vergehen gegen das pünktliche Funktionieren mittels die Eigenlogik vernichtender Narrative wie Faulheit, mangelnde Professionalität oder der moralisch besetzten Unpünktlichkeit zu bestrafen sucht. Die kapitalistische Zeit ist das Schnürkorsett dieses Systems. Wollen wir es erträglicher gestalten, so müssen wir anfangen, alternative Zeiten zu denken und zu leben

Man bringt den Menschen bei, dass zu argumentieren wichtig sei aber nicht wie man argumentiert, dass ihre Meinung zählt aber nicht wie man sie reflektiert, dass Fakten wichtig seien aber nicht was diese sind oder dass man immer lieber das glauben will, was der eigenen Meinung entspricht. Das sind die Widersprüche unserer Diskussionskultur, die aus ihr nur eine selbstgerechte Streitkultur machen.


Dass "die Presse", dass "die Medien" auch "Unwahrheiten" verbreiten, interessengeleitet, subjektiv gefärbt sind, ist doch nicht der Skandal. Der Skandal ist, dass plötzlich ein Haufen Leute aus ihren Löchern gekrochen kommen, die scheinbar dachten, es gäbe eine ultimative, objektive Wahrheit, die Medien und Presse nur abbilden würden. Der Skandal ist auch, dass diese Menschen nun auch noch glauben, sie hätten eine höhere Ebene erreicht, eine neue Ebene der Reflektion und dabei nichts anderes tun, als genauso unkritisch weiter zu machen, indem sie einfach Anderen die Wahrheit und Objektivität zuschreiben und so jeden Keim einer Medienkompetenz erneut in alten Mustern ersticken, so er denn überhaupt je da war. Denn die Zuwendung zu neuen medialen Göttern ist doch nichts anderes, als der Austausch hin zu der eigenen Meinung und dem eigenen Wohlgefallen passenderen Glaubenssätzen, verbunden mit einer wohlfeilen Haltung im Besitz einer fundamentalen Erkenntnis zu sein, die die Deutungshoheit beanspruchen will.

Freitag, 14. Oktober 2016

Ecce Hieronymus Bosch – oder die erste historische Kunstausstellung

Rezension zur Ausstellung „Hieronymus Bosch: Visions Alive“

Den Kunstgenuss möglichst authentisch gestalten wollen viele und scheitern. Ein wichtiger Grund dafür liegt bereits in der mangelnden Reflektion dessen, was sie denn sei, diese authentische Rezeption. Wie ist eine solche authentische Betrachtung denn zu verstehen? Als die Setzung des Gemäldes an seinem ursprünglichen Ort, als die historisch korrekte Beleuchtung oder als das passende räumliche Ensemble, die Nachbildung des Herums des Kunstobjektes? All diese Antworten übersehen den Kern des Problems, dem sich die multimedialen Ausstellung „Visions Alive“ zum niederländischen Maler Hieronymus Bosch nicht nur stellen kann, sondern vielleicht zum ersten Mal eine brauchbare Lösung anbietet.
Denn die Ausstellung geht gerade nicht den Weg, die Gemälde in ein historisches Setting zu überführen, es werden nicht einmal die Originale ausgestellt. Und doch ist alles auf das Werk abgestimmt. Allein der Ausstellungsort der Alten Münze, zu erreichen über einen wenig prunkvollen Innenhof bereitet auf den Bruch des klassischen Kunstgenusses vor. Die Räume der Ausstellung sind düster, im ersten Raum prangen vor allem die sieben Todsünden als Worte an der Wand, begleitet durch entsprechende Bibelzitate. Das eigentliche Highlight aber befindet sich in den folgenden Räumen. Stehend oder sitzend auf Bänken und Sitzkissen wird der Betrachter hier im Dunkel umringt von Leinwänden, auf denen Boschs Werk, untermalt durch eine entsprechende Geräuschkulisse, lebendig wird. Das Gemälde transformiert zum Kino. Die immersive Kraft, die diese Multimedialität und Darstellungsweise entfaltet ist enorm, der Sog hinein in die Gemälde Boschs unwiderruflich und unwiderstehlich. Statt des Erstarrten des Bildes, befindet sich Teile des Gemäldes im Fluss, die einzelnen Kreaturen werden lebendig und tanzen ihren Reigen um den Zuschauer herum.
Damit wird kein historisches Setting rekonstruiert, das in seiner Authentizität scheitern muss, weil es die Entwicklung der Sehgewohnheiten ignoriert, die Andersartigkeit des von multimedialen Angeboten geprägten Besuchers vergisst. Vielmehr wird das Betrachten dem modernen Sehen angepasst und kann damit zwar immer noch nicht die historische Rezeption wiedererwecken, denn das ist niemals möglich aber es wird eine Intensität der Betrachtung möglich, die als solche viel eher dem historischen Akteur gerecht werden kann. Zugleich schafft die Ausstellung damit die Dekonstruktion des klassischen Kunstgenusses, der sich unreflektiert seiner eigenen Bedingungen verschließt, in dem es Sehgewohnheiten in ihrer Historizität mittels dieses Erprobens von Möglichkeiten anzeigt und einem Neuen Tür und Tor öffnet, das hoffentlich Schule machen wird. Dies wäre wünschenswert, nicht nur, um eben auch Schüler und viele andere zu erreichen, denen das vermeintlich leblose Betrachten als Ödnis durch die moderne Medialität mitgegeben worden ist, sondern generell um eine Reflektion zu erreichen, die überhaupt erst einem viel zu oft formulierte, Anspruch von Kultureller Bildung gerecht werden kann, in dem sie Bedingungen des Sehens, des Wahrnehmens zu thematisieren vermag.
Bei allem Lob bleibt jedoch Raum für Kritik. Dazu gehört, dass auch hier der ästhetische Genuss allein im Vordergrund steht und damit die Kunst als Selbstzweck statt als Bildung. So kann eine gewissen Historizität von Sehgewohnheiten zwar erfahren werden, eine dezidierte Beschäftigung damit bleibt im Rahmen der Ausstellung aber aus. Hier wäre Nachholbedarf. Zugleich wäre eine Einordnung in die Kultur der Zeit wünschenswert, die über einen ereignishaften Zeitstrahl hinausgeht, der sich viel zu sehr der veralteten Formen der „Geschichte der großen weißen Männer“ und retrospektiv „wichtiger“ Ereignisse verhaftet sieht. Stattdessen wäre gerade bei dieser Thematik ein Blick auf die Historizität beispielsweise des Fühlens lohnenswert, nicht zuletzt, weil jene Todsünden zugleich Konzepte des Fühlens beschreiben.
Trotz dessen kommt dieser Ausstellung mit ihrer Aufarbeitung von Kunst in einer Art und Weise, die Sehgewohnheiten in ihrem Wandel ernst nimmt, eine Vorreiterrolle zu, so dass „Visions Alive“ mit einer gewissen Berechtigung die erste historische Kunstausstellung genannt werden kann.

Sonntag, 14. August 2016

Kurze Polemik für eine Ethik des Digitalen

Die Kommunikation des Digitalen mit seinem "Diktat der Transparenz" erzeuge laut Byung-Chul Han einen panoptischen Effekt permanenter Überwachung. So erschafft das Digitale aber zugleich auch eine grausame Welt ohne Fehler, eine Welt, in der es keine Fehler geben darf, weil jeder Fehler sofort und erbarmungslos bis in die digitale Ewigkeit hinein geahndet wird. Das Digitale kennt nur das Präsens und die Präsenz, so Han. Damit gibt es keine Fehler des Gestern, denn alle Fehler werden durch die Gleichzeitigkeit all dessen was digital ist und war, permanent präsent und damit permanent geahndet, die Entwicklung des Akteurs ist als Möglichkeit ausgeschaltet. Das Internet katapultiert den Menschen so zurück in eine mittelalterliche Strafjustiz, mit ihrem Grauen des Exempels. Die Strafe ist die öffentliche Beschämung, die den Akteur aus der lokalen Gemeinschaft ausschließt und wie ein Stigma begleitet. Das Internet jedoch hat keine solche Lokalität. Das Stigma und die Beschämung sind omnipräsent und überzeitlich, sie sind ewig und überall. Die Bloßstellung im Digitalen ist dessen bio-chemische Waffe und sollte als solche behandelt werden. Alle Argumente der modernen Reform des Strafsystems finden sich hier zum Extrem gesteigert.
Begünstigt wird all dies zusätzlich dadurch, dass laut Han die digitale Kommunikation das Gegenüber zum Verschwinden bringe und ihn nur noch als Widerstand wahrnehme, als Widerstand der Inszenierung des eigenen Selbst müsste man ergänzen. Noch viel schlimmer. Der Blick des Digitalen verhindert das Mit-Leiden, ja das Mit-Fühlen überhaupt, den empathischen Blick. Das Digitale hat keine Spiegelneuronen. Die Empathie und das Verstehen weichen dem Blick des Drohnenpiloten, der nur digitale Repräsentationen des Feindes aber nicht den Feind selbst, den Feind als individuellen, als gewordenen, zu historisierenden und verstehbaren Menschen wie sich selbst wahrnimmt. Es erleichtert ein affektiv-aggressives "Ich-gegen-den-oder-die" und damit ein "Wir-gegen-sie", das Grenzen begünstigt. Die Kommunikation des Internets, von facebook, Twitter und co wird so zu einer zunehmend agonalen Kommunikation, in der das konkrete "Ich" sich immer im Urteilen und Streiten mit jenen nicht verstandenen Anderen befindet. Wir brauchen daher dringend eine emanzipatorische Agenda der digitalen Diskurse und eine Ethik des Digitalen.

Mittwoch, 10. August 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XVI

Der immer stärker grassierende Anti-Intellektualismus ist eine aus Furcht geborene Überheblichkeit, die das tut, was sie vorwirft, nämlich zu versuchen, ihr eigenes Verstehen, Sprechen und Denken zu totalisieren oder zumindest hegemonial zu setzen, um in ihrer Blindheit zu übersehen, dass Erkenntnis immer unterschiedliche Modi des Denkens, Sprechens, Handelns benötigt. Der Begriff des elitären "von oben" ist ihr Kampfbegriff, um ihr eigenes elitäres "von unten" zu verschleiern.


Oh dieses Internet...diese Höllenpforte, aus der er hervorgekrochen kommt, nein, aus der er hervorgespien wird, dieser intellektuelle Bodensatz, diese Armee der Soziopathen, deren Dummheit, nur noch von ihrem Glauben an ihre eigene Höherwertigkeit übertroffen wird. Dieses Meer an Blödheit, das sich in die Welt ergiesst. Wie sie wieder zu Felde ziehen mit der Macht der überheblichen Idiotie, die wie wahnsinnig ihre Dekadenz der Einfachheit und des Urteils feiert, bar jeden Verstehens, um im Urteil des dem noch vom speichellecken benommenen, dumpfen Pöbels vorgekaugelten gerechten Zorn ihren eigenen Faschismus zu verbergen, ihr eigenes "Wir-gegen-die-anderen", mit dem sie ihren erbärmlichen Moment der Berechtigung zu erlangen suchen, über den sie nie hinauskommen können, weswegen sie diese Höllenpforte so sehr als ihren Himmel benötigen.


Eine der perfidesten und ältesten Strategien soziopathischer Egomanen ist es wohl, das eigene "Arschlochsein" mittels des Missbrauchs gefährdeter Gruppen oder einer (scheinbar) "gerechten Sache" zu kaschieren. Damit sollen jedem, der dumm genug ist dies zu glauben, die eigenen Animosität als allgemeine Forderungen erscheinen. So können mittels eines scheinbaren "Zorns des Gerechten" die eigenen "Privat-Affekten" ausgelebt werden. Besonders attraktiv ist jener Missbrauch nicht zuletzt auch deswegen, weil auf diese Weise eine gute Sache oder eine Gefährdung als Steigbügel zu eigener Bedeutsamkeit missbraucht werden können, dem eigenen Arschlochsein kann so ein Sinn gegeben werden, der sich so viel besser anfühlt und verkaufen lässt, an alle jene, die nur blöd oder ebenso bedürftig genug sind. Da dies aber kein Kavaliersdelikt ist, sondern ein Bärendienst an jenen missbrauchten gerechten Sachen und Forderungen oder den in der Tat gefährdeten Gruppen, sollten gerade diese sich am stärksten gegen solche Trittbrettfahrer eines abscheulichen Egos zur Wehr setzen. Die größte Waffe dabei, ist die Bedeutungslosigkeit, die der Egomane und Soziopath so sehr fürchten und die ebenso ihr eigentlicher Antrieb sind, wie allzu oft das Bedürfnis so sehr zu einer Elite der Gefährdeten und Gerechten dazu gehören zu wollen, um eigenen Unzulänglichkeiten oder nagende Gewissen zu kompensieren. Denn womit wären dem Ego und den eigenen Machenschaften mehr gedient, als mit einer Aufmerksamkeit, die nachsichtig auf die eigenen Fehler schaut und hinter der sich das Dunkel des Selbst verbergen lässt.


Der Ehrliche spricht für sich selbst, die Despoten, Tyrannen und Egomanen jedoch immer im Namen einer Gruppe oder Wahrheit.


Bestimmung des Werts von Aussagen I

Eine beliebte und seit Jahrhunderten gebrauchte Strategie, ist jene der Verallgemeinerung des eigenen Anliegens, um damit die Selbstbezüglichkeit zu verschleiern.
Wenn es also darum geht, eine Person aufgrund eigener Animositäten, weil sie einem etwas getan habe, irgendetwas habe, was man will oder man ihr sonst aus einem Grund zu schaden, kann diese Intention damit verschleiert werden, dass man sich eines Allgemeinen bedient. Die Strategie sieht dabei folgendes vor:
Einwände, die sich gegen einen selbst richten, diese persönliche Animosität also gezielt thematisieren und angehen, werden nicht als solche angenommen, sondern als Angriff auf eine (am besten bedrohte, marginalisierte oder irgendwie "gute") Gruppe" verstanden und als solche inszeniert. Damit sucht sich der Redner der Macht jener Gruppe zu versichern und seinen Gegner als Gegner der Gruppe unmöglich zu machen, um so seiner persönlichen Animosität Berechtigung zu verschaffen.
Es wird also allgemein versucht, von der persönlichen Ebene dadurch abzulenken, dass dem Gegner unterstellt wird, es würde auch ihm nicht um die eigene Person und deren Animositäten gehen, sondern er verstecke damit nur seine Abneigung oder Gegnerschaft gegenüber der Gruppe, zu der man sich als zugehörig konstruiert und inszeniert.
Teil der reflektiert-kritischen Bewertung einer Aussage oder Anschuldigung muss also sein, diese Strategie zu bedenken, insbesondere dann, wenn von einer der Seiten persönliche Animositäten angesprochen werden.

Bestimmung der Werts von Aussagen II

Urteil vs. Verstehen
Eine konstruktive aber damit wertvolle Aussage, wird sich des Verstehens befleissen. Gezielte Angriffe hingegen bevorzugen das Urteil, um so schnell zu einem Sieg zu führen. Ein Verstehen wird versuchen, die Logik des Gegners nicht nur zum Zwecke eines Angriffs zu missbrauchen, sondern sie als solche anzuerkennen. Dem Verstehen ist die Perspektivität als solches bewusst. Je eher eine Person dazu neigt, Aussagen zu verabsolutieren, andere Lesarten a priori zu verweigern, umso eher handelt es sich um einen urteilenden Angriff, dem ein Verstehen gerade nicht vorhergeht, dem es nicht mal intendiert ist. Das Urteil ist zweckgerichtet. Um dieses zu verstärken, wird es sich aristotelischer Rhetorik bedienen, also der Wahrscheinlichkeit des Glaubhaften der Masse, zu der er spricht. Besonders ist dabei auf Stigmatisierungen zu achten, die als (Vor-)Urteile voran gestellt werden, um so weitere Urteile als Wahrscheinliches zu manipulieren. Je weniger also auf Perspektiven geachtet wird, je weniger es um ein Verstehen geht, je mehr das Urteil am Anfang steht, umso geringer ist der Wert einer Aussagen im Diskurs einzuschätzen und umso eher handelt es sich um einen bloßen Angriff zum Zwecke der Vernichtung des Gegners.

Bestimmung des Werts von Aussagen III

Schnelle Zustimmung und Einfachheit. Dazu ein Zitat von Haruki Murakami:
"Ich habe den Eindruck, daß bestimmte Denkbahnen so simpel und einseitig sind, daß sie unwiderstehlich wirken."


Gleichheit und Vergleichen

VERGLEICHEN ist NICHT GLEICHSETZEN. Man kann sogar Äpfel mit Birnen vergleichen, sie ob einer Ähnlichkeit oder Gleichheit untersuchen, sie gar begrenzt(!) gleichsetzen, denn beide "sind" Obst, beide fallen vom Baum, ja man könnte sogar sagen, beide schmecken gleich, da Geschmack kein perspektivloser und "objektiver" Wert ist. Ein Vergleichsbegriff, der (gern als politischer Kampfbegriff missbraucht) Vergleichen mit Gleichsetzen oder Identifizieren definiert, ist ein letztlich unmöglicher Vergleichsbegriff, denn nichts ist mit etwas anderem derart identifizierbar, nicht mal Zeichen mit dem Bezeichneten. Wichtiger ist also die Frage, WAS im Rahmen des Vergleichs aus welcher PERSPEKTIVE heraus KONKRET und WIE in BEZIEHUNG gesetzt wird.

Freitag, 13. Mai 2016

Das kartonierte Sein als Scheinargument und epistemisches Problem plus ein bisschen Geschichtsphilosophie

Im Prinzip soll sich der folgende Text einem immer wieder gebrauchten Scheinargument bedienen, das wohl viele schon benutzt oder gehört haben und das auf den ersten Blick und wie wir sehen werden auch auf den zweiten, nicht völlig abwegig ist, sogar verständlich scheint. Da es jedoch häufig als „ultimatives Argument“ gebraucht wird, um dem Gesagten des Gegenübers engültig die Berechtigung zu versagen, soll es einmal genauer betrachtet werden.

Es gibt viele verschiedene Varianten davon, die Beliebtesten sind vielleicht die Aussagen „Du warst aber (im Gegensatz zu mir) nicht dabei!“, „Du hast das gar nicht miterlebt!“ oder „Du warst noch nie in einer solchen Situation und kannst das nicht beurteilen!“. Philosophisch ausgedrückt heisst das nichts anderes, als die Behauptung aufzustellen, ein In-der-Situation-sein oder Gewesen-sein“ bedeutet einen epistemischen Vorteil zu haben. Verbunden wird dies häufig mit dem Glauben daran, bessere und exaktere, im Sinne von wahrere, Aussagen über sich selbst zu machen, weil man ja man selbst ist und so einen authentischeren, direkteren, unmittelbareren und damit ebenso wahreren Zugang zu sich selbst habe.
Relevant ist dieser Einwand nicht zuletzt für Historiker, denn wir waren ja nicht dabei.

Um nun sowohl das Problem genauer zu betrachten und seine Stichhaltigkeit zu prüfen, soll, wie es Philosophen ja ganz gern machen, ein vereinfachtes Beispiel gewählt werden, um die zentralen Punkte zu verdeutlichen.

Level 1

Nehmen wir zwei Personen an, Person A und Person B. Nehmen wir nun an, dass Person B in einem Karton sitzt, Person A sitzt außerhalb dieses. Nun unterhalten sich beide über die Situation von Person B. Person A könnte nun sagen, dass Person B in einem Karton sitzt, während Person B antwortet, dass dies nicht stimme, denn sie sitze im Dunkeln und wisse aus ihrer Perspektive freilich besser Bescheid. Der Clou ist, beide haben Recht. Und Person A hat auch dann Recht, wenn er nie in einem Karton gesessen hat, da seine Aussage sich auf einen völlig anderen Aspekt bezieht, der sich aus der unterschiedlichen Perspektive ergibt. Während Person B also durchaus eine Wirkung angeben kann, die Person A in diesem Beispiel nicht kennt, kann Person A in dieser Hinsicht den Grund dafür angeben, eine Struktur, die dies bedingt und die Person B aufgrund seines Sitzens in dem Karton und der sich daraus ergebenen Perspektive nicht erkennen kann. Beide haben also eine spezifische Perspektive, die sich bereits deswegen unterscheidet, weil beide in anderen Formen des In-der-Welt-Seins „gefangen“ sind.
Beide können nun versuchen ihre je andere Perspektive zu nutzen, um je mehr über die Welt zu erfahren und zwar über die Welt, die sie beide teilen, im Rahmen dessen sie diese Welt erst zu einer geteilte Welt machen. Vielleicht werden die beide das In-der-Welt-sein der je anderen Person erfahren können aber sie können ihr eigenes Weltbild erweitern, also ihre Vorstellung davon, welche Perspektiven noch zu dieser gehören und, dies ist das wichtige, welche Beschränkungen herrschen, die ihren je eigenen Blick bedingen, ihn lenken und damit auch das eigene Verhalten.
Voraussetzung dafür ist aber die Anerkennung von multiplen Perspektiven und die Abkehr vom Glauben der beiden Annahmen, dass 1. ein In-der-Situation-sein einen per se epistemischen Vorteil hat und 2. derjenige in der Situation automatisch mehr darüber weiß, was diese Situation ist.

Bonuslevel

Was genau tun nun Wissenschaftler, vor allem Geschichtswissenschaftler? Das hängt mit davon ab, welcher geschichtsphilosophischer Richtung sie sich angeschlossen haben, was ihre Frage ist, welche Methoden sie anwenden, usw. Wer noch Geschichtenerzähler der älteren Richtungen ist, wird nach der Person in dem Karton schauen, seine Biografie schreiben, seine persönlichen Daten aufschreiben, den Tag der Entstehung des Kartons, den großen Sieg Einzug zum Gedenktag erheben, dies alles allerdings nur, wenn es sich auch lohnt, Person B also irgendwie berühmt ist, um zu zeigen wie wichtig Person B für die Welt ist, usw....
Strukturalisten hingegen schauen vor allem auf den Karton, denn dieser bestimme das Leben von Person B, indem er dessen Welt vorgibt, die Struktur, die Bewegungsmöglichkeiten, usw. Es geht also daran, den Karton zu vermessen, ihn mit anderen zu vergleichen, Mittelwerte zu errechnen, den idealen Karton, an dem die idealen Personen Anteil haben. Die Person sitzt drin, sie ist die vom Karton gebeutelte...
Kulturhistoriker hingegen schauen sich jene Person an, jedoch anders als vorher. Die Betrachtung gilt der Beschreibung des Im-Karton-seins. Wie bewältigt die Person diese Situation, welchen Sinn gibt sie ihr, wie verständigt sie sich mit anderen, wie verstetigen sie das Leben im Karton als gemeinsames In-der-Welt-sein, welche kulturellen Praktiken ergeben sich, usw. Dabei ist es nicht der Karton in seinen Maßen der interessiert, sondern der Karton wie er der Person innen erscheint und dieses Erscheinen wird als Einfluss, als prägend angesehen. Im Idealfall wird dabei ein s.g. praxelogischer Ansatz gewählt, der den strukturalistischen Karton berücksichtigt, als Rahmen der Bedeutungszuweisung, die den eigentlichen Einfluss ausmacht und zugleich eine Wechselwirkung untersucht, die den Karton auch in seinen Maßen als zumindest zum Teil durch die Kultur der Person beeinflusst sieht, in dem jene Kultur auch auf das vermeintlich statische einwirkt, während der Karton sich auch langsam selbst wandelt, verfällt, an manchen Stellen geflickt wird, an anderen bewusst aufgerissen um den Blick zu erweitern, der eingeteilt wird, um verschiedene Teile verschiedenen Funktionen zuzuweisen, der immer wieder anders erlebt wird, je nachdem, in welcher Verfassung die Person ist, usw.

Level 2

Das zweite Level ist nun schwieriger. Denn eigentlich befindet sich nicht nur Person B in einem Karton, sondern auch Person A. Beide können sich dabei trotzdem sehen, der Karton ist nicht völlig undurchsichtig, sondern ein milchiger Schleier, verschwommen, unscharf, mit uneinsehbaren Bereichen. Durch diesen können beide auf einander schauen. Wenn beide wissen wollen, wie die Welt beschaffen sei, müssen sie miteinander reden, ihre Wahrnehmung abgleichen. Die Crux dabei ist, dass sie nur die Wahrnehmung haben und sich darüber verständigen was dies ist das sie sehen, um auf diese Weise zu vereinbaren, was denn zu sehen sei und nochmehr, was dies zu bedeuten habe. Da beide aber in unerschiedlichen Kartons sitzen ist das schwer. Nun könnte man sagen, Person B hat einen epistemischen Vorteil, wenn sie auf sich selbst schaut, weil dieses Schauen ist unmittelbar, es befindet sich ja in dem Karton, währnend Person A durch seinen eigenen erst hindurchsehen muss. Der erste Einwand dagegen ist, dass beide immer noch über etwas völlig anderes sprechen, über Struktur und Erleben. Der zweite Einwand ist, dass das Im-Karton-sein ja weiterhin eine Perspektive darstellt, die durch diesen Zustand geprägt ist und zwar so, dass es Person B selten merkt. Und auch dieses Erleben ist dabei durch die Kultur geprägt, also den normativen Austausch vieler Leute in Kartons, die dann darüber sprechen was es heisst aber auch was es heissen soll, das Im-Karton-sein zu erleben.

Bonuslevel

Dieses epistmeische Problem gehen Wissenschaftler nun dahingehend an, dass sie, bevor sie Andere betrachten, sich erst einmal selbst in den Blick nehmen (sollten). Es muss also geklärt werden, wie der „eigene“ Karton die eigene Wahrnehmung bestimmt, durch das eigenen Erleben, Fühlen, Denken, usw. Dieser Blick schärft sich dabei eben auch an der Untersuchung des Anderen immer weiter, denn es gilt zu schauen, wie auch dessen Wahrnehmung sich mittels kultureller Prozesse schafft, die dann wiederum auf das eigene Sehen angewendet werden. Das ist übrigens der wichtigste Kern von Bildung, von Historischer Bildung insbesondere. Dabei produziert auch der Wissenschaftler Erzählungen von Personen in Kartons und diesen Kartons, die durch die Erzählungen seiner eigenen Zeit, seines eigenen Kartions beeinflusst sind, Perspektiven über Perspektiven also. Deren epistemisch höhrer Wert liegt allerdings darin, dies zu berücksichtigen. Dies nennt sich dann erkenntnistheoretische und methodische Reflektion. Diese kann dazu führen, mehr erfahren, in Wechselwirkung vom Anderen und sich selbst. Der Mehrwert besteht dabei auch darin zu zeigen, wie sich der Karton auswirkt und wie sich wiederum das Im-Karton-sein auf diesen auswirkt. Ein Wissenschaftler kennt so idealerweise die Erzählungen des Im-Karton-Seins als kulturell erlernte Muster, dessen sich Person B nicht bewusst ist und die automatisiert ablaufen, er kennt die Auslöser dafür, die Gründe und Begründungen, die vielen Erzählungen und er kann bedingt Aussagen darüber machen, wie solche Dinge ihn selbst dazu bringen all jenes zu sehen, zwar unvollständig aber doch in größerem Umfang als es Person B möglich ist. Der Unterschied besteht in einem Wissen um dieses Prozesse im Gegensatz zu einem kreativen Gefangensein in diesen Prozessen.

Level 3

Allerdings ist es mit zwei Personen und zwei Kartons oder dessen Multplizierung nicht getan, denn jeder steckt zeitgleich in vielen Kartons, die sich überlappen und die er mit anderen teilt.

Bonuslevel

Das wahnsinnige Unterfangen besteht jetzt darin dies alles zu berücksichtigen in Bezug auf sich selbst als produktiver und damit auch verzerrender Teil der eigenen Wahrnehmung, als auch in Bezug auf alle Anderen, auf die, die untersucht werden. Je mehr Gründe und Begründungen, je mehr Einflussfaktoren, je mehr Kartons also bekannt sind, umso besser kann das Verhalten erklärt werden, umso höher der epistemische Vorteil gegenüber denen, die sich Selbst im Karton lediglich befinden.

Bossfight

Als Letztes steht nun generell ein epistemisches Problem an, nämlich die Frage, was, auf welche Weise und ob überhaupt etwas existiert, ob wir Zugang dazu haben usw.
Die Frage kann dabei unterschiedlich beantwortet werden. Mein persönlicher Cheatcode ist der Konstruktivismus, der davon ausgeht, dass die Welt zwar existiert aber wir ihr nur als Welt begegnen, also als die Gesamtheit der Erzählungen, die wir uns von ihr machen und von der wir nie wissen, ob sie auch nur im Entferntesten mit jener Welt übereinstimmt. Das aber ist kein Problem, eben weil wir es nicht wissen können. Als kulturelle Wesen schaffen wir die Bedeutungen selbst, wie wir uns auch dabei beobachten können. Weil es aber diese Bedeutungen sind, die von uns selbst wechselseitig in unsere vielen Kartons geschaffen werden, die unser Handeln bestimmen, sind es auch diese, die es zu erforschen gilt, denn sie sind alles was wir haben. Weil dies aber so ist, weil damit unser Erleben selbst in Kategorien abläuft, wissen wir selbst auch nicht zwangsweise mehr über uns, bloss weil wir wir selbst sind, denn was wir tun ist jene Erzählungen anwenden, an deren Gestaltung wir mitwirken, die wir aber nicht selbst hervorbringen. Wer die Erzählungen, ihre Gründe und Begründungen, die Kartons kennt, der weiß damit eine Menge über uns, auch wenn er es nicht nacherleben kann.

Samstag, 30. April 2016

Die andere Seite des Spiegels - Tiere als historische Akteure und Subjekte

Tierliche und menschliche Topografien als Ergebnis von Interaktionsräumen in historischer Analyse
 
 Tiere sind in der Geschichtswissenschaft keine völlig neuen Betrachtungsobjekte mehr. Ganz im Gegenteil existieren bereits etliche Arbeiten, die sich mit dem Tier oder den Tieren beschäftigen. Neu ist hingegen der Blick auf jenes Tier als tierlichem Anderen, als Gegenüber, als Subjekt und Akteur und nicht nur als Objekt von Deutungen, als Umweltfaktor oder als dialektisches Gegenüber einer Identitätsgeschichte des Menschen.1 Mit der Formulierung eines Bestrebens, sich dem Tier oder besser den Tieren als Subjekte und Akteure der Vergangenheit und damit als zu betrachtende, handelnde Teile in historischen Erzählungen, stellen sich allerdings zwangsweise Probleme nach der methodischen Umsetzung einer solchen Geschichte der Tiere ein. Das Ausrufen eines animal turn und die Formulierung einer Animate History allein reichen nicht aus, auch wenn bereits das Bedürfnis nach solchen Sichtweisen eine eigene Untersuchung wert wäre. Soll es zu Untersuchungen und Erkenntnissen jenseits des Bisherigen und des Bedürfnisses kommen, so muss geklärt werden, wie ein Zugang zum tierlichen Anderen geschaffen werden kann, es muss Quellen oder zumindest Lesarten dieser geben, ein Etwas also, aus dem sich die Geschichte schreiben lässt. Um solche Quellen zu finden, muss allerdings auch ein Verständnis dafür entwickelt werden, was genau denn erforscht werden soll und kann, um dann zu schauen, welche Quellen Aussagen darüber zu Tage fördern könnten. Jener Grundlage einer Animate History soll sich hier in Form eines Vorschlags genähert werden, der den Ansatz eines symbolischen Interaktionsismus aufgreift und ihn, performativ, emotional und spatial gewendet, weiterführt. Dies scheint nötig, da auch jener Ansatz bisher zwar Tiere als Akteure begreift, die auf uns reagieren und wir auf sie, die aber trotz allem einer Geschichte des Menschen und der kurzen Momente der Interaktion verhaftet bleibt, nicht aber Erkenntnisse außerhalb dieser kurzen Interaktion über die Welt jener Tiere zu schreiben vermag. Herauszuheben ist dabei die Betrachtung des gemeinsamen Spazierengehens von Mensch und Hund, für das ein Wissen auf beiden Seiten und eine Form der Institutionalisierung von Handlungsroutinen bereit stehen muss, um dies zu ermöglichen.2 So wichtig dieser Fall und seine Betrachtung ist, weil sie am ehesten den Anspruch einlösen kann, so bleibt er trotzdem bei einer Geschichte jener Interaktion, die den Hund nur im Rahmen dieser Interaktion und des Wissensaustauschs betrachtet. Ziel ist es hier jedoch, darüber hinaus zu gehen und den Betrachtungspunkt zu erweitern, sowohl in Bezug auf das Tier als Akteur, dem nicht nur ein Wissen unterstellt wird, sondern dieses auch im Rahmen seines Tierseins beschrieben, als auch insbesondere in Betrachtung tierlicher Lebenswelt und deren Wandel mittels dieser Interaktion. Die Frage ist also auch, wie verändert sich die Welt für den Hund jenseits des Moments der Interaktion und wie kann dies beschrieben werden? Denn jener grundsätzliche Wandel der Lebenswelt des Tieres und dessen Beschreibung stellen den Zielpunkt einer solchen Forschung.

Den Knackpunkt eines Zugangs zu Tieren als Akteure bildet nun grundsätzlich der Zusammenbruch klassischer dichotomer und absoluter Unterscheidungen von Mensch und Tier. Besteht aber kein solcher absoluter Unterschied, so kann es auch keine grundsätzliche methodische Verschiedenheit geben, wie sich jenen Anderen genähert werden kann. Um einen Zugang zu skizzieren soll das Beispiel eines Videos gewählt werden, das zur Zeit auf Plattformen wie facebook die Runde macht.
Zu sehen sind ein Lemur und zwei Kinder. Letztere kraulen den Lemuren, unterbrechen ihr Vorhaben jedoch immer wieder. Der Lemur reagiert seinerseits auf diese Unterbrechung damit, dass er die Kinder ansieht und die Handbewegung des Kraulens simuliert, woraufhin diese erneut mit dem Kraulen beginnen. Als erstes handelt es sich auch hier eindeutig um eine Interaktion zwischen Menschen und dem Lemuren. Eine Analyse dieser Interaktion läuft jedoch Gefahr, anthroprozentrische Zuschreibungen als Grundlage zu wählen und damit menschliche Kultur zu übertragen und dies bereits dann, wenn das Handeln selbst als Kraulen bezeichnet wird. Dieser Begriff ist bereits ein menschlicher, der eine menschliche Handlung und menschliche Bedeutungen beschreibt, in das menschliche Bedeutungsnetzwerk von Handlungen eingeschrieben ist. Kann also überhaupt davon gesprochen werden, dass das Kraulen auf beiden Seiten existiert oder was ist es, was existiert? Damit stellt sich auch die Frage, ob eine Geschichte des gemeinsamen Spazierens in dieser Formulierung überhaupt Sinn machen kann. Krault also der Mensch, während der Lemur gar nicht gekrault wird? Was aber ist es dann, was dem Lemuren passiert, was er zu wollen scheint? Dies sind Fragen, die gestellt werden müssen, wenn es darum geht, ein Tier als Akteur ernst zu nehmen und ihm nicht einfach menschliche Begriffe zuzuschreiben. Ein Weg aus diesem Dilemma bietet die Emotionsgeschichte. In dieser stellt sich ähnlich die Frage, wie überhaupt von Gefühlen (richtiger eigentlich Fühlkonzepte, weil Gefühle bereits spezifische Formen von emotionalen Prozessen sind) gesprochen werden kann, die es gar nicht in der eigenen Gefühlskultur gibt, wie kann also etwas völlig Unbekanntes beschrieben werden? Eine Lösung, die auch Stalfort in ihrer Geschichte zur Entstehung des Gefühls nutzt, ist die s.g. reduktionistische Paraphrase der Linguistin Anna Wierzbicka.3 Dabei wird ein Gefühl mit möglichst einfachen und quasi universalen Begriffen beschrieben, die sich auf einer Ebene befinden, die allen Kulturen verständlich ist. Diese Begriffe handeln von Handlungsimpulsen, von Kategorien wie „angenehm“ und „unangenehm“, von Situationen, in denen diese auftreten und der Intensität. Damit lassen sich Gefühle auch in anderen Kulturen verständlich machen, die diese nicht kennen. Freilich ist dieses Gefühl darüber hinaus mit Bedeutung versehen, in dem es zum Beispiel erwünscht oder unerwünscht ist, raumspezifisch ausgeprägt, also nur in bestimmten Räumen erlaubt oder nicht erlaubt, vielleicht nach Geschlechtern getrennt, usw. All dies ist Teil des Gefühls einer spezifischen Kultur, das aber einen Zusatz darstellt und dieses reguliert, deren Kern aber selbst nicht betrifft. Wenn ein Gefühl plötzlich unangenehm wird, weil es woanders als erlaubt empfunden wird, so liegt dies nicht am Gefühl als solchen, sondern vor allem daran, dass es eine höhergelegene emotionale Topografie gibt, die das Angenehme in bestimmten Situationen nicht unangenehm macht, sondern diesem etwas Unangenehmes zusätzlich gegenüber stellt, um es zu kontrollieren.
Wird diese Methode auf das Kraulen angewandt, kann auch dieser Begriff soweit abstrahiert werden, dass er als Forschungsbegriff benutzt werden kann. Auf diese Weise wird auf die Gemeinsamkeiten verwiesen, um eine gemeinsame Betrachtung dieser Handlung in der Interaktion zu ermöglichen. Zugleich werden so die Zusätze menschlicher Kultur, wie auch die Zusätze auf tierlicher Seite beseitigt. Diese sind dann als Ergänzungen zu verstehen, die die beiden Perspektiven bestimmen, die von beiden Partnern zwar nicht verstanden werden, was der Interaktion aber keinen Abbruch tut, solange dies sich nicht auf den Moment der Interaktion auswirkt. Geschieht dies aber, so lassen sich auch jene Bedeutungen in Handeln übersetzen, einbetten in die Performanz der Interaktion. Was dabei geschieht ist eine Übersetzung eines kulturellen Inhalts auf der einen Seite in einen Inhalt auf der anderen Seite. Die Deutung kann dabei verschieden sein, die Frage nach dem Warum also ungleich beantwortet werden. Das bedeutet aber eben nicht, dass jene Inhalte nicht in die jeweiligen Logiken übersetzt werden können. Im Rahmen dieser Abnehmenden Missverstehens als Verstehen ist es damit irrelevant ob Mensch und Tier unterschiedlichen Logiken von Bedeutungen folgen, solange beide ihre Handlungen aufeinander abstimmen können. Dem Tier muss es nicht wichtig sein, ob der Mensch die Handlung aus religiösen oder persönlichen Gründen Aufrecht erhält und dem Menschen muss nicht bewusst sein, dass es sich um Fellfplege satt Zuneigung handelt, damit die Interaktion glückt und in ihrer Intention und wirklichkeitsverändernden Wirkung beschrieben werden kann. Dieser Überschuss an Bedeutung auf beiden Seiten kann kompensiert werden.
Was bleibt nun vom Kraulen übrig. In jedem Fall ist es eine Form des Körperkontakts, eine Form der berührenden Interaktion, die und dies ist wichtig, emotional gestützt ist. Warum das Kraulen in einer Kultur benutzt wird, was also der Begründungsdiskurs ist und welchen Bedeutungsüberhang dem zugesprochen wird, ist dabei für diese Interaktion dann nur auf je einer Seite relevant, für die Interaktion nicht, es ist nicht Teil dieser, sondern nur der jeweiligen einzelnen Perspektive. Beiden gemeinsam ist aber die emotionale Komponenten in Form körperlicher Erregungszustände, die als angenehm empfunden werden und so den jeweiligen Akteur motivieren und antreiben diese Handlung durchzuführen, unabhängig ob es um Zuneigung oder Fellpflege als kulturellem bzw. biologischem Zweck geht.
Die Handlung des Kraulens institutionalisiert sich dabei als emotionale Performanz, als eine Handlungsroutine, die mit angenehmem Empfinden verknüpft ist und immer dann abgerufen werden kann, wenn ein Bedürfnis nach angenehmen emotionalen Zuständen besteht, weil jene Handlung diese hervorruft und damit bedeutet. Dafür ist keine Sprache notwendig, sondern allenfalls eine Form von Erinnerung und Empfinden. Freilich kann eine Kultur dieses Empfinden blockieren, zum Beispiel in dem Kraulen als moralisch verwerflich gilt und mit einer Hölle bestraft wird. Auf diese Weise wird ein Konflikt hergestellt zwischen angenehmem und unangenehmem Empfinden und im Sinne dieser Moral entschieden, sofern das Unangenehme stärker ist. Aber auch dies existiert wieder nur auf einer der beiden Seite als zusätzliche Bedeutung, die die Interaktion zum Beispiel verhindern oder befördern kann, die aber nicht nötig ist, um die Interaktion aufrecht zu erhalten.
Verfügt der Lemur nun über Erinnerung und Empfindung und dafür gibt es schon allein dann Anzeichen, wenn er wiederkehrt und erneut danach verlangt, konstituiert sich nicht nur für die beiden Kindern ein neuer Raum im Rahmen dieser Interaktion, der sich institutionalisieren kann als jener Raum, an dem eine bestimmte Handlung vollzogen wird, die angenehm ist, sondern auch auf Seiten des Lemuren. Beide treten in eine sich institutionalisierende Interaktion ein, die einen emotionalen und performativen Raum schafft und auf diese Weise die jeweiligen Topografien verändert, der Welt beider Seiten einen weiteren Raum hinzufügt, mit Hilfe dessen sich in der Welt orientiert werden kann.
Die Bedeutung dessen muss nun nicht sprachlich kommunzierbar sein als Raum des Kraulens, sondern kann in der Performanz und Emotionalität selbst liegen. Was der Lemur für sich schafft, ist die Erinnerung an einen emotionalen Raum, der aus einer Handlung seinerseits und einer Handlung der Kinder als Antwort auf diese besteht, für deren Handlung er aber in Interaktion treten muss. Damit hat auch der Lemur einen Raum konstituiert als eine Art Institution aus Wahrnehmen, Erinnern und Handeln, die bestimmten Regeln folgt, die beide Parteien kennen, über die sie sich im Rahmen eines Kommunikationsexperiments austauschen und verständigen. Damit handelt es sich auf einer höheren kulturellen Ebene um zwei verschiedene Räume, in denen jeweils die andere Spezies als Objekt, als Element auftritt, die entsprechend Einfluss ausübt und „funktioniert“ und von der sich beide Seiten letztlich ein anderes Bild machen dem eine andere und zusätzliche Bedeutung beimessen können. Auf rudimentärer Ebene funktioniert diese Interaktion dennoch und produziert einen Interaktionsraum dessen Regeln beide kennen und an dem beide ein Bedürfnis haben, auch wenn es sich um völlig andere Deutungen handeln mag.
Auf dieser Ebene ist es aber möglich eine emotionale und performative Topografie auf beiden Seiten zu erzählen, die sich immer dann ändern kann, wenn der Interaktionsraum sich wandelt, wenn zum Beispiel mehr Kinder oder mehr Lemuren dazukommen oder es zu Zwischenfällen in diesem Selbstverständlichen kommt, die den Raum vielleicht unangenehm machen und folglich wiederum die Bewegung „in“ der Welt beeinflussen, die Topografie verändern und den Dorfplatz für eine oder beide Partein zum unangenehmen Raum machen.
Das Problem bei der bishierigen Betrachtung besteht darin, dass nur eine Seite des Spiegels dieser Interaktionen betrachtet wird, so dass der Mensch als Subjekt auch außerhalb dieses Moments auftaucht, das Tier darüber hinaus wieder zum Objekt wird, seinen Akteursstatus nicht weiter verfolgt wird. Hier aber zeigen sich beide als Subjekte, als Akteure, deren Welt nachhaltig in ihrem Werden beschrieben werden kann.
Wie kann dies aber nun historisch untersucht werden? Wo sind die Quellen?
Eine ähnliche Beobachtung ist historisch nicht möglich aber das ist sie auch nicht bei einer Geschichte nicht der Kindheit, sondern der Kinder in der Frühen Neuzeit. Auch von diesen existieren selbst keine Quellen. Trotzdem lässt sich eine solche Geschichte ähnlich erzählen. So existieren Quellen, die das Handeln beschreiben, Normen, Verbote, Strafen, Bilder, usw. Zwar sind jene Quellen immer durch eine Perspektive geprägt, dies ist aber ein immanentes Problem der gesamten Geschichtswissenschaft, das nicht der Animate History aufgebürdet oder gegen diese ins Feld geführt werden kann. Auch wenn Bewertungen mitschwingen, so lassen sich doch Bewegungen und Handlungen lesen, auf die damit reagiert wird oder die verhindert werden wollen. Selbst wenn eine der beiden Logiken der Teilnehmer nicht bekannt ist, kann jene Interaktion beschrieben werden. Auch jene Quellen zeigen Formen der Aneignung von Welt durch jene Kinder und deren performative Topografie, die ihre Welt bestimmt und ist.
Dabei geht es also weniger um Sprache, als vielmehr Performanz, um Performanz als Sprache, der Körper wird zum Medium einer solchen Geschichte und alle Quellen, die jenen Körper in Bewegung zeigen, kommen so infrage, jede Interaktion also, jede Bewegung, die auf Bewegung reagiert, das Handeln wird zur Sprache der rudimentären Ebene zweier Akteure, die in ihren jeweiligen Welten handeln, sich aufeinander einspielen, in Interaktion treten, ohne dass eine Seite die andere völlig verstehen könnte. Dieser Tanz ist nichts anderes als die Kommunikation selbst. Die Bedeutungen der einzelnen Schritte sind unklar aber die Ähnlichkeiten der Körper erlauben es zumindest einige der Schritte aufeinander abzustimmen.

1Siehe dazu als Zusammenfassung und Ausblick Krüger, Gesine; Steinbrecher, Aline; Wischermann, Clemens: Animate History. Zugänge und Konzepte einer Geschichte zwischen Menschen und Tieren, in: Krüger, Gesine, u.a. (Hrsg.): Tiere und Geschichte: Konturen einer „Animate History“, Stuttgart 2014, S. 8-33.
2Vgl. ebd., S. 31f.
3Vgl. Stalfort, Jutta: Die Erfindung der Gefühle. Eine Studie über den Wandel menschlicher Emotionalität (1750-1850), Bielefeld 2013, S. 57ff.

Samstag, 12. März 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XV

Freilich sind insbesondere Sozial- und Geisteswissenschaftler "unbequem", natürlich sind sie es, es ist ihre Aufgabe! Mit der leider immer weniger gewürdigten Fähigkeit zur Dekonstruktion sozio-kultureller Prozesse und Strukturen, mit der Dekonstruktion von Gesellschaft, von Welt und Selbst geht Verantwortung einher, eine Verantwortung, die freilich auch als Pflicht dazu zu definieren ist, nicht zuletzt weil es eben immer wieder irgendwelche "Natürlichkeiten", "Wahrheiten" und sonstige Unsinnigkeiten sind, die durchs Dorf getrieben werden und mit denen man den je Anderen zu besiegen trachtet. Freilich wird dies nicht geschätzt, weil es eben "unbequem" ist oder vielmehr so gesehen wird. Denn es läuft nicht nur den Marktlogiken des einfachen und schnellen Konsums entgegen, sondern auch den Machtstrukturen, die sich nicht zuletzt über all jene unhinterfragten alltäglichen Gewissheiten legitmieren. Hier nehme ich alle Wissenschaftler, besonders aber eben jene Sozial- und Geisteswissenschaftler in die Pflicht, ganz im Sinne Mills eben nicht die Uni als Vorbereitung auf eine Leben "in" der Gesellschaft zu nutzen, zur Aneignung funktionaler Wissensbestände, sondern als Widerstandsrefugium gegen jene scheinbar feststehende Gesellschaft. Wissenschaftler sollten nicht ausführende Organe der bestehenden Logiken sein, sondern immer mindestens zu einem gewissen Teil auch Widerstandskämpfer, die sich dem intellektuellen Vorschlaghammer gegen das Starre und vermeintliche Gewisse bedienen.

Das Recht, wie auch die gelebte Gewohnheit vom Arbeitnehmer seitens des Arbeitgebers Überstunden und dies ohne weitere Gegenleistungen einfordern zu können, ist nichts Anderes, als das Recht, auf das Privatleben Einfluss nehmen zu dürfen, gänzlich über den Arbeitnehmer verfügen zu können, in dem sich nachwievor sowohl der Status des Arbeitnehmers als bloßes Werkzeug der Wirtschaft zeigt, wie auch generell ein Primat der Arbeit für Identität, Sitte und Gesellschaft, dem es zu folgen gilt, um keine Sanktionierungen befürchten zu müssen. Gestützt wird dies nicht zuletzt auch durch zu sittlichen Gesetzen erhobene Narrative wie jene der "Professionalität", der "Notwendigkeit" oder der "Firmenloyalität", in die ein emotionaler Stil eingeschrieben ist, der den Arbeitnehmer all jene Fremdzwänge verinnerlichen soll, kulminierend in eben jenem "schlechten Gewissen" "Firma" oder "Kollegen" im Stich zulassen, wenn sich nicht unterworfen wird. Alle anderen Entwürfe müssen folglich als "Faulheit", "Egoismus" oder mangelnde "Professionalität" erzählt werden und machen das Individuum in der Möglichkeit seiner "privaten" Entfaltung letztendlich von der Gnade derjenigen abhängig, die in strukturellen Machtpositionen ihm gegenüber sitzen. "Freiwillige Überstunden" sind der moderne Ablasshandel, in welchem man den sittlichen Gesetzen der "Professionalität" huldigt und sich der Sünde eines Lebens außerhalb der Arbeit loskauft.

In der immer noch betriebenen Gegenüberstellung von Rationalität und Emotionalität und der mindestens teils negativen Bewertung und Ablehnung letzterer, offenbart sich eine Machtstruktur, die Emotionalität verbietet und zugleich nutzt, um bestimmten Akteuren u.a. die Diskurshoheit zu sichern. Dabei ist nur "ungeordnete" Emotionalität für diese ein Problem, weil sie das Chaos einer anderen Ordnung in sich trägt und das Recht der Teilhabe untergräbt, denn nur wer kontrolliert ist, darf teilhaben. Als Mäßigung und Disziplin verkauft, sichert eine bestimmte Emotionalität so die Ordnung ab, weil sie allen das Sprechen verbietet oder abwertet, die zu viel ungeordnete Emotionalität aufweisen. Wird sie in Ordnung gebracht, überträgt sie aber bereits die Bedeutungen und Werte des hegemonialen Diskurses, denn wenn Eigenes gleichgültig vorgebracht wird, verliert es seine Qualität als eigenes, der Wille zu diesem schwindet. All dies wird dabei im Hintergrund selbst emotional abgesichert, durch dazu geschaffene Gefühle wie den sozial ausschliessenden Ärger, der dafür sorgt, dass die Ordnung bleibt. Diskurse sind Macht, Rationalität ihre Waffe, das andere Sprechen ist Widerstand und Leidenschaft die Triebkraft, derer sich die Ordnung bemächtigt oder sie abwertet und zerstören will.

Sonntag, 14. Februar 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XIV

Ich ertrage diese abscheuliche Abwertung der Legitimität von s.g. "Wirtschaftsflüchtlingen" durch Leute nicht mehr, die durch Zufall in dieser Hinsicht das Glück hatten, hier geboren worden zu sein, so als ob die Suche und der Versuch eines besseren Lebens irgendetwas anrüchiges oder unverständliches hätte, so als ob die Geburt in einem Land, dessen Reichtum auf der Armut anderer basiert, irgendwie moralisch besser wäre. Im Gegenteil, eure Dummheit und Ignoranz dieser Tatsache gegenüber verdankt ihr eure Haltung und nichts anderem! Ich hab nun schon zu viele Geschichten allein schon über Menschen gehört, die in ihrem Land aufgrund mangelnder Krankenversorgung für die Armen, mit leicht zu behandelnden aber leidvollen Krankheiten leben müssen, um die Selbstgerechtigkeit des Wohlstandsabschaums noch länger ruhig hinnehmen zu können. Mittel sind genug da, sie sind nur ungleich verteilt. Aber ein noch grösseres Verbrechen als diese Verteilung, weil ihr vorgängig, ist, aus politisch-philosophischer Sicht, der Umstand, dass der ganze mindergebildete Haufen den wenigen, die es trotz Bildungssystems zu einem Mindestmaß an Bildung als kritischem Denken und Fühlen geschafft haben, ganz systemkonform die strukturellen Machtpositionen "wegnimmt", um den Stammtischjargon einmal zu bemühen.

Mehr noch als nach ihrer Dummheit, stinkt die Nazi-Ideologie nach ihrer sado-masochistischen Geilheit, die zur Staatsräson erhoben wird. Diese spannt sich auf zwischen dem Masochismus der Märtyrers, der sich wollüstig in der kollektiven Schändung vollzieht, die den Sadismus legitimiert und im Sinne des Regimes gewendet ihren obszönen Höhepunkt findet, in der freiwillig-lustvoll-leidenden Unterwerfung des Einzelnen im Volkskörper und unter den Führer, der den Modus des Schändenden, wie auch den Schänder austauscht und der masochistischen Lust einen neuen Sinn gibt, während auf der anderen Seite der Sadismus wartet, der sich in eigenen, aktiven Schändungsphantasien verliert, der die Wollust der Rache feiert und als dessen Endpunkt sich der Volkskörper im Höhepunkt über die gesamte Welt ergießen muss, um letztendlich die Krankheit des Systems zu offenbaren und sich seiner eigenen Legitimationsphantasie zu berauben. Demgegenüber befinden sich AFD, Pegida, CSU und all die anderen noch(!) im Stadium der exzessiven Masturbation, die Sublimierung ins Abscheuliche ist noch aufzuhalten...

Das ganze Gerede von der "deutschen" oder "abendländischen Kultur", die man "retten" müsse, ist nur der begründungsdiskursive Platzhalter des eigentlichen Grundes, nämlich der banalen, ganz eigenen und auf sich selbst bezogenen Angst, zu kurz zu kommen und seine Gewissheiten, den eigenen intellektuellen Kaffeesatz des Alltäglichen zu verlieren, ohne eine Ahnung davon, was diese spezifische Kultur sein soll oder ohne auch nur die leiseste Ahnung davon zu haben, was Kultur an sich eigentlich ist oder wie sie funktioniert...

Samstag, 16. Januar 2016

The same and the different – translation as a trial of meaning Part III

Every society creates its own crimes and criminals. The prisons and their punitive practices are a mirror of society and its not questioned horizon of understanding and values. What do we really punish when we hand out a punishment to a murderer? Killing is common. It happens every day, every hour, every minute. Killing is a common and established cultural activity. Trained on „animals“, „enemies“ or „criminals“ in exercise as well as acceptance it is just a small step to any other. Where is the difference in quality? What society punishs is not the killing in general, it is just the violation of its categorical rank system.

Like Hitler so is Trump the underestimated idiot, the uneducated jumping jack whom you can told every stupid idea and he will spread it to effectively through media. Similar to Hitler he set in scene himself as well as his fellows as the poor, marginalized and endangered white man in a world surrounded by foreign hordes who try to rot race and nation. Very similar to the style of former fascistic atmosphere of departure he and his fellows shout for revenge, for hardness, for no mercy and recruit themselves out of the would-be middle class of society, which seems just simple, unsophisticated and with its typical lack of education as critical thinking and also very similar to 1933 in germany this is an explosive mixture...but this time the world must act sooner...

How much the people crave again for simplicity, for doubtlessness, for the comforting motherly womb of the one and only truth and their unmistakable answers...again how big is the fail of our educational system, how much do we all want to be imprisoned again into the simplicity as simplification of the world with their scapegoats, their fast solutions, free from everything in need for a process of  understanding, free fom every try to understand, free from every confession of admitting its own ignorance...oh how miserable we are again and how much we like it...oh this yearning for the beloved anti-intellectualism with its praise and promise for self-sufficiency we long for...to be able to be the wise man even without any wisdom...cursed and banished within the to be burned ivory tower lies the origin of all wisdom: to know that you know nothing. But instead of searching for wisdom the opinion is raised to a weapon to cut the world into accepted truths...oh how miserable....


will be continued soon...

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XIII

Im Zuge dieser ganzen Pseudodiskussion um "die Füchtlinge", die nur ein wolllüstiges Wühlen in den eigenen dummen und sicherheitsverheissenden Vorurteilen ist, kommt erneut ein essistentialistischer Raumbegriff auf, eine Vorstellung von Raum als absolut Gegebenem, der noch dazu mit einer durch und durch unkritisichen und ebenso essentialistischen, in ihrer Entwicklung und Historizität unbeachteten spezifischen Kulturvorstellung verknüpft wird, so als ob "Europa" ein natürlicher Raum einer bestimmten hegemonialen Kultur weisser, männlicher, christlicher Menschen wäre, der von einer quasi biologischen Invasion einer ebenso essentialistischen "fremden" und inferioren Kultur befallen wird. Von da aus ist es nicht mehr weit bis zur "Blut und Boden - Rhetorik" des Naziabschaums, im Abwesenheitsraum von selbst- und weltreflexivem kritischen Denken jedoch befinden wir uns schon lange...

Wie man sich wieder nach der Einfachheit sehnt, nach der Gewissheit, dem wohligen, mütterlichen Schoß der einen reinen Wahrheit und ihrer unmissverständlichen Antworten, ihrer Feindbilder und Sündenböcke, denen man sein ganzes Leiden in Striemen auf den Rücken malen kann...wie sehr doch unser Bildungssystem erneut versagt hat, wie sehr doch alle so freiwillig gefangen sein wollen in der Einfachheit als Vereinfachung der Welt mit jenen Sündenböcken, jenen schnellen Lösungen, frei von allem, bei dem ein Verstehen eine Entwicklung voraussetzen würde, ein Bemühen und das Eingestehen eines Nichtwissens...oh wie erbärmlich man wieder ist und sich in dieser Erbärmlichkeit auch noch gefällt...oh dieser sehnsuchtsvolle identitäre Anti-Intellektualismus, der die Selbstgenügsamkeit preist und verheisst, nach der man sich so sehr sehnt...der Weltweise sein zu können auch ohne jede Weisheit...verflucht und verbannt in den noch in Brand zu steckenden Elfenbeinturm ist der Beginn aller Bildung in Form des Wissens um das Nichtwissen. Stattdessen die Meinung zur Waffe erhoben um die Welt zur Wahrheit zu stückeln...oh wie erbärmlich...

Luftangriffe, die im "konventionellen" Bereich immer die meisten zivilen Opfer fordern weiter unterstützen, die Grenzen für Flüchtende dicht machen aber weiter für feindlichen Nachschub offen lassen, das Ganze mit einer so erst noch steigenden Terrorgefahr und Bündnispflichten als Begründungsdiskurs versehen...genau so stärkt man Propaganda und Zulauf für die, die man vorgibt zu bekämpfen. Die westliche Demokratie hat versagt, egal ob das nun Dummheit oder Kalkül ist. In beiden Fällen zeigt es, dass die westliche Demokratie weder Dummheit noch totalitäre Machtstrukturen verhindern kann...sie ist also doch mehr als der erkenntnistheoretische Mangel der Mittelmässigkeit als oppurtunistisches handlungsarmes Leitbild erhoben...