Dienstag, 15. November 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XVII

Entgegen des Alltagsverständnisses eines Naiven Realismus, sind Einhörner ebenso Fakt, wie Fakten auch wie Einhörner sind. In je begrenzten Referenzbereichen ist ihre Behauptung "wahr" und dies ist die einzige "Wahrheit", die uns zuträglich ist, die relative Übereinstimmung einer Behauptung mit verschiedenen Ebenen unserer Wirklichkeiten aber nicht mit der davon unabhängigen Realität, denn zu dieser haben wir keinen von unseren Wahrnehmungen und damit auch Wirklichkeiten unabhängigen Zugriff. So ist auch ein Berg nur "hoch" im Referenzbereich unserer Erfahrung, die wir aufgrund seiner Überwindbarkeit und aufgrund der von uns erfahrenen Höhen haben und er ist nur x Kilometer hoch, im Rahmen einer nur auf unserer lebensweltlichen Mesoebene "exakten" Einteilung von messbarer Höhe, die es ohne uns in dieser Form gar nicht gäbe. "Der Berg ist hoch" und "der Berg ist x Kilometer hoch" sind damit weniger Fakten im Alltagssinne, als vielmehr Vereinbarungen, die nur für uns Relevanz und Wahrheit besitzen. Das bedeutet nicht, dass es für uns nicht schwer sei, auf den Berg zu kommen, es bedeutet lediglich, allen diesen Wahrheiten einen relationalen Status zuzuweisen, sie abhängig von unseren Perspektiven, Bedürfnissen und Weltdeutungen zu machen.
Der Berg ist ohne uns da aber er ist dann eben kein Berg.


Die Erfindung der modernen normierten Zeit und ihre Nutzung durch die sich aus dem Protestantismus entwickelnde kapitalistische Arbeitsethik, sind wohl die zentralsten Kontrollmittel unserer Lebenswelt. Der Wecker ist die Peitsche, der Blick auf die Uhr gibt den neuen Rhythmus vor, nach dem wir zu funktionieren haben, argwöhnisch bewacht von der Scham, die jedes Vergehen gegen das pünktliche Funktionieren mittels die Eigenlogik vernichtender Narrative wie Faulheit, mangelnde Professionalität oder der moralisch besetzten Unpünktlichkeit zu bestrafen sucht. Die kapitalistische Zeit ist das Schnürkorsett dieses Systems. Wollen wir es erträglicher gestalten, so müssen wir anfangen, alternative Zeiten zu denken und zu leben

Man bringt den Menschen bei, dass zu argumentieren wichtig sei aber nicht wie man argumentiert, dass ihre Meinung zählt aber nicht wie man sie reflektiert, dass Fakten wichtig seien aber nicht was diese sind oder dass man immer lieber das glauben will, was der eigenen Meinung entspricht. Das sind die Widersprüche unserer Diskussionskultur, die aus ihr nur eine selbstgerechte Streitkultur machen.


Dass "die Presse", dass "die Medien" auch "Unwahrheiten" verbreiten, interessengeleitet, subjektiv gefärbt sind, ist doch nicht der Skandal. Der Skandal ist, dass plötzlich ein Haufen Leute aus ihren Löchern gekrochen kommen, die scheinbar dachten, es gäbe eine ultimative, objektive Wahrheit, die Medien und Presse nur abbilden würden. Der Skandal ist auch, dass diese Menschen nun auch noch glauben, sie hätten eine höhere Ebene erreicht, eine neue Ebene der Reflektion und dabei nichts anderes tun, als genauso unkritisch weiter zu machen, indem sie einfach Anderen die Wahrheit und Objektivität zuschreiben und so jeden Keim einer Medienkompetenz erneut in alten Mustern ersticken, so er denn überhaupt je da war. Denn die Zuwendung zu neuen medialen Göttern ist doch nichts anderes, als der Austausch hin zu der eigenen Meinung und dem eigenen Wohlgefallen passenderen Glaubenssätzen, verbunden mit einer wohlfeilen Haltung im Besitz einer fundamentalen Erkenntnis zu sein, die die Deutungshoheit beanspruchen will.